24.03.13

Wie ist es so weit gekommen?

Essen und Nahrungsmittel sind nicht nur mit jeder Form tierischen und menschlichen Lebens, sondern auch untrennbar mit menschlicher Kultur und Zivilisation verbunden. In seinem Buch [1] zeigt Gunther Hirschfelder eindrücklich, dass seit der Ur- und Frühgeschichte und spätestens seit der Entstehung des Ackerbaus Nahrung gehandelt, getauscht, weitergegeben und weiterentwickelt wurde. Dabei ist auffällig, dass ein Großteil der Art, Vielfalt und Menge von Nahrung, die wir heute für "normal" oder "typisch" halten so erst sehr spät in unsere Esskultur gefunden hat. Man muss sich nur einmal bewusst machen, dass Kartoffeln und Tomaten erst mit den spanischen Eroberern aus Südamerika nach Europa gelangten. Ein heutiges Durchschnittsessen wäre wohl noch vor 50 Jahren als außerordentlich seltsam empfunden worden. 


Bauer in Myanmar [1]
Doch warum essen wir heute was wir essen? Mit der Frage wie es soweit kam will ich keinesfalls andeuten, dass unser Essen schlechter ist als es einige Generationen zuvor war. Wir leben heute (in Deutschland) in einem Zeitalter unglaublichen Überflusses an vielfältigem, hochwertigen und sicheren Nahrungsmitteln. All das wurde nicht nur durch Technik, sondern auch durch ein ausgeklügeltes System aus Handel, Rechtssicherheit und Sozialpolitik erreicht.
Auf der anderen Seite sollte man nicht aus den Augen verlieren, dass ein großer Teil der Kosten unseres Essens nicht an der Kasse im Supermarkt gezahlt wird sondern durch die Allgemeinheit.

Es sind genau diese externen Kosten wie zum Beispiel Umweltschäden (Treibhausgase, verschmutztes Grundwasser, ausgelaugte Böden, Verlust an Artenvielfalt, usw.) und gesellschaftliche Kosten (Verdrängung von Landbevölkerung, Vergiftungen durch Pestizide, Hunger und Fettleibigkeit, usw.) die oft außer Acht gelassen werden wenn man von Nahrungsmitteln spricht. Diese Kosten fallen vor allem im Ausland oder weit von den Städten an wo viele Menschen es nicht sehen. Doch diese Kosten erklären auch was wir auf dem Teller haben [4].

Tillamook Käsefabrik [3]
Stark vereinfacht sieht das dann so aus: Hersteller, die wirtschaftliche Produktionskosten senken können (Rohstoffkosten, Arbeitskosten, etc.) haben einen Vorteil auf dem Markt. Sie können ihre Produkte günstiger anbieten und/oder haben größere Gewinnspannen. Oft wird dies als "Effizienz" bezeichnet. In der Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion bedeutet das meist mechanische, industrielle Massenproduktion mit hohem Input an fossilen Rohstoffen und Chemikalien sowie wenig Input an Arbeitskraft. Dadurch können große Mengen an sehr günstigen und sicheren Lebensmitteln zu einem  günstigen Preis angeboten werden.
Die Art der Herstellung ist aber auch dafür Verantwortlich, dass immer mehr Endprodukte aus möglichst billigen Rohstoffen wie Mais und Soja produziert werden. Auch in der Fleisch- und Milchproduktion werden die Tiere zum Großteil damit gefüttert. Und die weit verbreitete Agroindustrie schafft riesige externe Kosten, die von der Allgemeinheit gestemmt werden müssen.

Wir als Menschheit haben es also geschafft Massen an Lebensmitteln zu produzieren und diese billig verfügbar zu machen. Das gilt zumindest für den Preis an der Supermarktkasse.
Die oben genannten externen Kosten, die die Gesellschaft nicht an der Kasse zahlt (Umweltverschmutzung, Gesundheitsprobleme, soziale Spannungen, Leid von Tieren) tauchen in der Rechnung nicht auf. Nur deshalb ist unser Essen so günstig und die meisten Leute wollen gar nicht erst nachfragen wo das Schnitzel denn eigentlich herkommt.
Wie US-Journalist Frederick Kaufmann erklärt, ist Essen nicht mehr nur Nahrung sondern hauptsächlich Ware [5]. Das klingt für meine Generation ganz logisch und normal, jedoch war das historisch selten der Fall. Zwar wurde mit Essen schon immer gehandelt, doch dieser Handel war von den alten Ägyptern bis in die Neuzeit oft strengen Regeln unterworfen. Auch wirtschaftlich gesehen ist Essen als Ware kein selbstverständliches Konzept weil das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage nicht beliebig funktioniert. Die Nachfrage an Essen bleibt für gewöhnlich recht stabil und erhöht sich nicht durch einen niedrigeren Preis. Andersherum wird die Nachfrage nicht geringer nur weil der Preis steigt. Zwar werden wohl viele auf billigeres Essen umsteigen wollen, aber nichts oder später zu kaufen würde Hunger oder Tod bedeuten.
Sei dies alles wie es ist, bleibt doch ein marktwirtschaftlicher Ansatz die naheliegende Antwort auf die Frage wie wir entscheiden sollen was, wann produziert wird und wie es verteilt werden kann. Vielleicht sollten wir uns jedoch klar machen, dass nicht alles als Ware gehandelt werden kann oder sollte. Zwischen Planwirtschaft und freier Marktwirtschaft liegen viele Abstufungen und es sollte möglich sein Lebensmittel nicht nur als Ware zu werten sondern als das was es ist: Als ein Grundstein von Gesundheit, Kultur, sozialem Miteinander und eben Wirtschaft. Als LEBENS-Mittel.

[1] Foto by worak [CC-BY-2.0], via Wikimedia Commons.
[2] Hirschfelder, Gunther. Europäische Esskultur - Geschichte der Ernährung von der Steinzeit bis Heute. Frankfurt, Campus, 2005.
[3] Foto by Scott Andress, photoscott@flickr [CC-BY-NC-ND 2.0], via Flickr.
[4] Patel, Raj. Stuffed and Starved - From Farm to Fork, the hidden Battle for the World Food System. London, Portobello Books, 2007.
[5] Kaufman, Frederick. Bet the Farm - How Food stopped being Food. New Jersey, Wiley, 2012.


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